Hebammentag 2022

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Ulrike Geppert-Orthofer zum Hebammentag 2022

Jede Hebamme zählt – 2700 für unsere Kliniken

In einer mehr als angespannten Situation in den Kreißsälen in Deutschland ist allenthalben von Klinikleitungen zu hören, sie würden gerne Hebammen einstellen, es gäbe nur einfach nicht genug von ihnen. Ist die Antwort so einfach? Ist die Lage in der Geburtshilfe so prekär, weil es nicht genug Hebammen gibt?

Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Deutschen Hebammenverbandes anlässlich des Welt-Hebammentages am 5. Mai heben diese Behauptung aus den Angeln. Wir stellten  unseren Mitgliedern die Frage, ob sie auf folgende Aussage mit Ja oder Nein Antworten würden: „Wenn die Eins-zu-eins-Betreuung der Frau garantiert ist, ich nur Hebammentätigkeit ausführen muss und hebammengeleitete Geburtshilfe nicht nur leere Worte sind, dann arbeite ich (wieder/mehr) im Kreißsaal. Dann kann man auf mich zählen!“

3.500 Hebammen haben sich an dieser Umfrage beteiligt; davon haben rund 2.700 mit JA geantwortet. Sie alle sagen Ja zum Arbeitsplatz Klinik – jedoch nur, wenn vieles sich ändert!

„2700 Hebammen haben angegeben, sofort wieder und auch mehr im Kreißsaal arbeiten zu wollen, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern. Ein deutlicher Appell. Wir fordern deshalb Verantwortliche in Politik und Kliniken auf, die Sicherheit und Qualität in der klinischen Geburtshilfe nicht weiter aufs Spiel zu setzen, sondern endlich einen Paradigmenwechsel herbeizuführen“, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. „Menschwerden muss in Deutschland unter menschlichen und höchsten Standards möglich sein. Denn schließlich ist es nicht egal, wie wir geboren werden.“

Dass die Regierung Verbesserungen angekündigt hat, ist aus DHV-Sicht ein erster Schritt, doch jetzt müssen Taten folgen. Mit ihrer Beteiligung an der Umfrage haben uns die Teilnehmenden ein kraftvolles Argument an die Hand gegeben. In der Folge werden wir die Stimmen nutzen können, um mit Politiker*innen und Klinikleitungen in Kontakt zu treten und starke Argument für die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Hebammen-Themen voranzutreiben und endlich eine Eins-zu-Eins Betreuung in den Kliniken zu erreichen.

Jede Hebamme zählt!

 

Karte DHV-Umfrage

 

„Wenn...

 

... die Eins-zu-eins-Betreuung der Frau garantiert ist

... ich nur Hebammentätigkeit ausführen muss und

... hebammengeleitete Geburtshilfe nicht nur leere Worte sind

 

dann arbeite ich (wieder/mehr) im Kreißsaal. Dann kann man auf mich zählen!“

 

2.718 Hebammen haben auf diese Aussage aus der DHV-Umfrage „Jede von uns zählt“ mit JA geantwortet. In der ganzen Republik gibt es Hebammen, die die Arbeit in der Geburtshilfe lieben – jedoch nicht unter den herrschenden Bedingungen arbeiten wollen.

So viele Hebammen, die (wieder mehr) in der Geburtshilfe tätig sein möchten, gibt es in den einzelnen Bundesländern – und das sagen sie selbst zu ihren Beweggründen.

5 Politische Forderungen und Botschaften

Fehlsteuerung im System

Klinische Geburtshilfe muss zu den gewinnbringenden Abteilungen eines Krankenhauses gehören. Sie muss lukrativ sein und sich für Klinikbetreiber rentieren.

Forderung: Es müssen neue Anreize für Klinikbetreiber geschaffen und Stellschrauben im System neu ausgerichtet werden. Aktuell sabotiert das System Hebammenarbeit.

Personalausstattung

Hochwertige Hebammenarbeit muss – wie die Arbeit anderer Berufsgruppen im Gesundheitswesen auch – adäquat vergütet, gefördert und wertgeschätzt werden.

Forderung: Alle Hebammenleistungen müssen ein fester Faktor in der Finanzplanung einer Klinik sein und einkalkuliert werden. Nur so kann eine vorausschauende, angemessene Personalausstattung Realität werden.

Hebammenarbeit

Hebammen haben eine spezialisierte, hochwertige Ausbildung absolviert und müssen entsprechend ihrer Qualifikation eingeplant, beschäftigt und eingesetzt werden.

Die sog. „Hinzuziehungspflicht“ regelt, dass eine Hebamme bei einer Geburt anwesend sein muss (gilt nicht für Ärzte) – eine Regelung, die es nur in Deutschland gibt. Das trifft auch bei Kaiserschnitten zu.

Daraus ergeben sich folgende originäre Zuständigkeiten:

  • zugewandte Betreuung und Unterstützung der Frau vor, während und nach der Geburt
  • 1:1-Betreuung (s. Koalitionsvertrag)
  • Wochenbettbetreuung

Forderungen:

  • Förderung der flächendeckenden hebammengeleiteten Geburtshilfe in Hebammenkreißsälen
  • keine fachfremden Tätigkeiten

Die Rolle der Frau in der Geburtshilfe

Hebammen übernehmen zentrale Aufgaben bei der Versorgung Schwangerer, Mütter und Neugeborener. Ihnen obliegt eine hohe Verantwortung, der sie auch unter größter Belastung (Pandemie) gerecht werden. Wie bei anderen professionellen Sorgearbeiten sind es in Deutschland traditionell vor allem Frauen, die in der Hebammenhilfe arbeiten, schlecht bezahlt werden und bis heute wenig Anerkennung seitens der Politik erfahren.

Forderung: Es müssen dringend adäquate Rahmenbedingungen für Hebammen und Geburtshilfe geschaffen werden. Der Bedarf von Frauen und Familien muss ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. 2022 ist es an der Zeit, dem Eindruck, dass ein modernes Land wie Deutschland bei alten, überwunden geglaubten Geschlechterrollen immer noch hinterherhinkt, entgegenzuwirken.

Umfrage

Hintergrund: Der Deutsche Hebammenverband e.V. (DHV) hat im März 2022 eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt. Das Thema: Arbeitsbedingungen in der Klinik bzw. im Kreißsaal, das Motto „Jede von uns zählt“.

Der DHV fragte bundesweit die Hebammen:

„Wenn die Eins-zu-eins-Betreuung der Frau garantiert ist, ich nur Hebammentätigkeit ausführen muss und hebammengeleitete Geburtshilfe nicht nur leere Worte sind, dann arbeite ich (wieder/mehr) im Kreißsaal. Dann kann man auf mich zählen!“

Dass das Thema einen wunden Punkt trifft, zeigt die große Beteiligung:

  • Adressatenkreis / DHV-Mitglieder: rund 22.000
  • Anzahl Teilnehmer*innen: 3.516
  • Davon Antwort JA: 2.718
  • Beteiligung in Relation zur Mitgliederzahl: 16 Prozent
  • Anteil Antwort JA zur Teilnehmer*innenzahl: 77 Prozent

Hauptaussage:

2.700 Hebammen haben ihre Arbeit in den Kliniken eingeschränkt oder ganz aufgegeben, weil die Belastung (Zeitmangel, Personalnot, fachfremde Tätigkeiten und vor allem, Gebärende nicht mehr adäquat und leitliniengerecht 1:1 betreuen und versorgen zu können) unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen zu groß sind. D.h., sie haben nicht aus persönlichen Motiven, sondern aufgrund der seit Jahren sich kontinuierlich und systematisch verschlechternden Arbeitsbedingungen den Kliniken den Rücken zugekehrt. Das heißt, 2700 Hebammen fehlen im System oder stehen nur vermindert zur Verfügung.

Die positive Nachricht(!):

2700 Hebammen stehen bereit und würden bei einer Verbesserung der klinischen Geburtshilfe durchaus wieder und sogar bevorzugt im Kreißsaal arbeiten wollen. Denn: Hebammen lieben ihren Beruf. Sie haben ihn gewählt, um Frauen bei der Geburt zu begleiten und Geburtshilfe zugewandt und qualitätsvoll ausüben zu können. Die Realität erschwert ihn dies jedoch seit Jahren.

Forderung: Klinische Geburtshilfe darf keine Mangelwirtschaft sein. In der Geburtshilfe stehen die Menschen im Mittelpunkt und nicht Erlöse oder Fallzahlen. Wir verlangen und brauchen einen Paradigmenwechsel, weg von der Geburt als rein kalkulierte Organisationsaufgabe hin zu mehr Menschlichkeit.

 

 

 

Über 1.000 Hebammen haben uns bei der Umfrage ihre Meinung zu der Situation der Geburtshilfe in Deutschland mitgeteilt. Ein Einblick in den Arbeitsalltag der Hebammen:

Statements von Hebammen im Original

DANKE für die große Beteiligung und Offenheit. Wir versprechen uns mit dieser Aktion, die Politik und Klinikleitungen weiter erreichen zu können, damit sich an der Situation in den Kliniken etwas ändern kann.

Empfohlener externer Inhalt
Alexandra P. , Baden-Württemberg
Die Geburtshilfe ist so etwas Wunderbares!

Aber traurig, dass es kaum eine von uns schafft, 100% in einem Kreißsaal zu arbeiten!

Susanne S., Hamburg
Der Grundstein unserer Gesellschaft wird im Gebärzimmer gelegt!

Nur mit engagierten und belastbaren Hebammen gelingt eine gute Unterstützung für Mutter und Kind beim Start ins Leben und der Begleitung ins Familienleben.

Karen D. , Berlin
Aus zahlreichen Studien, Berichten und Forschungen wissen wir, wie wichtig die 1:1 Betreuung ist.

Und trotzdem betreue ich oft 4-5 Paare gleichzeitig. So kann und darf es nicht weiter gehen, weil es nicht egal ist, wie wir geboren werden und gebären!

Charlotte K., Hamburg
1-zu-1-Betreuung sollte kein Luxus sondern Standard für jede Gebärende sein.
Heike G., Niedersachsen
Ich bin alles zur gleichen Zeit:

Hebamme zur Geburtsbegleitung, oft bei mehr als zwei Frauen parallel, obenauf kommt: - Schwangerenbetreuung - Ambulanz - Sekretärinnnenarbeit - Reinigungsarbeiten, Kreißsaalorganisation und: - die Ausbildung der werdenden Hebammen Es ist oft nicht zu schaffen, erfordert hohe Qualifikation und Belastbarkeit und ist dafür schlecht bezahlt.

Dorothee M. , Berlin
Gute Hebammenbetreuung ist ein lebenslanger Invest in die Frauen- und Familiengesundheit.
Ulrike B. , Brandenburg
Das kann so nicht weiter gehen!

Es ist beängstigend, dass der Nachwuchs nicht als Hebamme im Kreißsaal arbeiten möchte und die Geburtshilfe nach dem Abschluss an den Nagel hängt.

Caroline W., Sachsen
Ich kann den Frauen keine Klinik mehr guten Gewissens empfehlen, entscheide nur noch nach kleinerem Übel.

Ich habe den Eindruck, dass sich in meiner Heimatstadt die Lage in den geburtshilflichen Kliniken in den letzten Jahren nochmals deutlich verschlechtert hat (von vorher schon unguten Zuständen). Es ist für mich unvorstellbar, unter diesen Bedingungen in einem Kreißsaal zu arbeiten. Generell macht mir aber Geburtshilfe Spaß, ich habe viel Erfahrung und finde die Geburtshilfe eigentlich einen wichtigen Bestandteil in der Betreuung (von Anfang Schwangerschaft bis Ende des Wochenbetts). Unter den genannten Umständen könnte ich mir auch eine Rückkehr in den Kreißsaal vorstellen und bin bereit, mich für ein Erreichen dieser Umstände aktiv einzubringen.

Claudia K., Nordrhein-Westfalen
Es wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus wie wir diese Welt betreten!!!

Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe und Verpflichtung für uns alle, Hebammen und jede Frau und jedes Neugeborene mit bestmöglicher Unterstützung zu arbeiten/gebären.

Christiane A., Hessen
Immense Bürokratie und Personalmangel sollten nicht länger auf den Schultern der Angestellten und der Frauen und Familien getragen werden.
Delphine W. , Thüringen
Die schlechten Arbeitsbedingungen sorgen für ein schlechtes Klima im Team.

Mit der Medikalisierung und Pathologisierung von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett werden Hierarchien zwischen ärztlichem und Hebammenpersonal verfestigt. Durch diese Stimmung im Kreißsaal ist dieser auch für unseren Nachwuchs zunehmend unattraktiv, sodass dieser nicht gehalten werden kann.

Veronika W. , Bayern
Wenn die Intensivstationen wegen der Corona-Pandemie überlastet sind, greift die Regierung ein. Wir haben in der Geburtshilfe dieselbe Situation seit Jahrzehnten.
Alexandra W. , Nordrhein-Westfalen
Geburtshilfe im Krankenhaus erfährt immer mehr Medikalisierung.

Wir kommen immer weiter davon weg, Geburt als natürlichen Prozess zu sehen.

Bärbel L. , Bayern
Die klinische Geburtshilfe ist weder frauengerecht noch familiengerecht.

Die S3-Leitlinie liest sich super, wird jedoch in den mir bekannten Häusern nicht umgesetzt.

Ulrike M., Niedersachsen
Mich schreckt die Hierarchie der großen Kliniken ab.

Ich arbeite in einer Geburtsklinik, wo Hebammengeburtshilfe Realität ist, als Beleghebamme. Leider sind wir immer wieder von Schließung bedroht, da wir nur 750 Geburten/Jahr haben. Angestellt zu arbeiten für den Bruchteil des Verdienstes, den ich jetzt habe oder unter den Bedingungen der großen Häuser (Kolleginnen berichten von Diensten, in denen 3 Hebammen 12 Gebärende betreuen), kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich bin seit 25 Jahren in der Geburtshilfe tätig und möchte auf Augenhöhe und selbständig arbeiten für eine angemessene Entlohnung.

Christine B., Schleswig Holstein
1-zu-1 Betreuung ist das Wichtigste inhaltlich. Eine angemessene Bezahlung mehr als notwendig!
Britta K. , Niedersachsen
Das brennt uns aus.

Ich finde die Situation der Hebammen sehr kritisch, da wir gute Arbeit leisten wollen aber durch das hohe Arbeitsaufkommen dies nicht immer gewährleisten können.

Selina B. , Saarland
Bei uns in der Klinik ist eher das Problem, dass die Geburtshilfe ein Minusgeschäft ist.

Und das wird kaum gefördert. Durch die Politik konnten wir jetzt Druck ausüben und die Forderung nach einem Hebammenkreißsaal und 1-zu-1 Betreuung durchsetzen und voranbringen.

Andrea P. , Sachsen-Anhalt
Immer mehr Mütter, Väter und Neugeborene verlassen traumatisiert den Kreißsaal.

Interventionen im Kreißsaal wohin das Auge reicht. Keine Spur von Urvertrauen in die Kraft der Frauen und in die Natur. Ohne Schutz, ohne Unterstützung verbringen die Frauen die meiste Zeit allein im Kreißsaal. Die Hebamme springt mal eben schnell für den Dammschutz herbei. Aber schnell schnell... "Kreißsaal 4" presst auch schon! Individualität ist ein Fremdwort. Angst und Zeitdruck beherrschen den Kreißsaal und die Geburtshilfe... Wir LEITEN die Geburt aber wir BEGLEITEN die Frauen und Familien nicht mehr.

Ulrike H. , Baden-Württemberg
Eine gute Geburtshilfe ist kosten-, zeit-, energie- und ressourcensparend!!!!!

Die Geburtsbegleitung einer gesunden Frau, die eine physiologische Schwangerschaft erlebt hat, gehört in die Hände einer Hebamme, die sich mit all ihrer Profession in diesem Moment NUR um DIESE Frau kümmert. Die Hebamme ist in der Lage frühzeitig zu erkennen, wenn sich abweichende Momente zeigen und wird dann adäquat reagieren. Dafür braucht die Hebamme all ihre Sinne. Keineswegs sollte sie sich gleichzeitig mit Putzen, Qualitätsmanagement oder anderen Dingen beschäftigen (müssen). Gebärende, die diese uneingeschränkte Zuwendung und Unterstützung nicht erleben, fühlen sich allein, verlassen und der Geburtsdynamik ausgeliefert. Die Erfahrung einer selbstbestimmten starken schönen Geburt ist häufig so nicht möglich und kann zu Problemen beim Bonding, Stillen und im Wochenbett führen.

Heike B. , Rheinland-Pfalz
Unattraktive Arbeitsbedingungen mit vielen Aufgaben in der digitalisierten Krankenhauswelt ohne gute Einbeziehung der Anwender.

Qualität ist sehr wichtig, oft zählt leider nur die Quantität, damit es rentabel ist.

Ulrike G. , Bayern
Bessere Ausbildung junger Ärtzt*innen rund um die physiologische Geburt!

Vorlesungen zusammen mit Hebammenstudierenden und Medizinstudierenden! Kein Pathologisieren und Eingreifen in physiologische Verläufe würde zu weniger Stress in der Geburtshilfe führen!

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