Warum ist die Kaiserschnittrate in Deutschland so hoch?

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Fragen und Antworten

Warum ist die Kaiserschnittrate in Deutschland so hoch?

Im Jahr 2018 gab es laut Statistischem Bundesamt 220.343 Kaiserschnitte. Damit lag die Kaiserschnittrate bei 29,1 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr (30,5 Prozent) ist die Kaiserschnittrate leicht gesunken. Obwohl bereits seit vier Jahren kein Anstieg der Rate mehr zu verzeichnen ist, übt der Deutsche Hebammenverband Kritik: Denn laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist lediglich eine Kaiserschnittrate von bis zu zehn Prozent medizinisch notwendig. Kaiserschnitte können Leben retten, aber: Sie sollten nur im Notfall angewendet werden, da sie Risiken für die Gesundheit von Mutter und Kind bergen. Warum werden Gebärende in vielen Fällen dann einer nicht notwendigen Operation unterzogen, wenn es auch einen natürlichen Weg gibt? Die Gründe hierfür in Deutschland sind vielfältig.

Wunsch-Kaiserschnitt

Sehr wenige Schwangere wünschen sich explizit einen Kaiserschnitt – manche Prominente vermitteln dabei medienwirksam die medizinisch nicht notwendige Operation als beste Lösung für Mutter, Kind und Figur. Bei Befragungen von Müttern, die sich freiwillig zu diesem Eingriff entschließen, sind zwei Gründe ausschlaggebend: die Angst vor Schmerzen und die Angst vor Kontrollverlust. Zudem ist der falsche Glaube, ein Kaiserschnitt sei sicherer für die Gebärende und das Kind, weit verbreitet. Zu den möglichen Folgen der Operation für die Mutter gehören jedoch unter anderem Infektionen, Gewebeverletzungen und Wundheilungsstörungen. Studien zeigen außerdem, dass Kinder, die mit einem Kaiserschnitt zur Welt gekommen sind, ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Allergien und anderen Autoimmunerkrankungen haben.

Fragwürdige Gründe in einem reichen Land

Eine weitere Ursache für einen Kaiserschnitt in Deutschland: In den Kreißsälen ist oft zu wenig Personal, um sich intensiv um jede Gebärende kümmern zu können! Im November 2015 hat das unabhängige Picker-Institut im Auftrag des DHV 1.692 angestellte Hebammen zu ihrer Arbeitssituation in Kliniken in Deutschland befragt. Kaum noch eine Hebamme hat Zeit, eine Frau während der gesamten Geburt ungestört zu betreuen. Die Hälfte der Befragten betreut häufig drei Frauen, weitere zwanzig Prozent sogar vier und mehr Frauen parallel (Weitere Ergebnisse der Umfrage erhalten Sie hier). Ausreichend Personal mit genügend Zeit für eine individuelle Betreuung von Schwangeren würde jedoch die Angst vor Schmerzen und vor Kontrollverlust und damit die zu hohe Kaiserschnittrate senken können.

Mittlerweile nimmt durch die hohe Anzahl von Kaiserschnittgeburten zudem das Wissen über die unterschiedlichen Verläufe einer normalen Geburt ab. Heute wird häufig schon bei der kleinsten Abweichung im Geburtsverlauf von Gynäkolog*innen eingegriffen. Es fehlen gültige Standards, wann ein Kaiserschnitt geboten ist. Die Entscheidung über seine Notwendigkeit ist deshalb in vielen Fällen subjektiv. Sie erfolgt auch aus Angst vor Fehlern und möglichen Geburtsschäden.

Falsche Sicherheit

Nur weil der Kaiserschnitt als harmlos gilt, ist er dennoch einer normalen Geburt nicht gleichwertig. Er geht schneller und verursacht an einer Stelle Kosten, die man an anderer Stelle für eine bessere Betreuung der Schwangeren einsetzen könnte. Gesundheitlich bringt er in vielen Fällen jedenfalls keinen Nutzen. Ein nicht nötiger Kaiserschnitt birgt sogar mehr Risiken für Mutter und Kind als eine normale Geburt. Niemand weiß hundertprozentig, wie sich das Kind im Bauch der Mutter entwickeln wird. Eine Garantie für ein gesundes Kind gibt es nicht, auch nicht bei einem Kaiserschnitt. Fakt ist: Trotz hoher Kaiserschnittraten sinkt die Mütter- und Kindersterblichkeit nicht weiter. Haben wir also nicht längst die Grenze der Kontrollierbarkeit des Geburtsvorgangs erreicht? Diese Frage muss gestellt werden.

Selbstbestimmt statt fremdbestimmt

In Fragen und Antworten „Was bedeutet eine gute Versorgung im Kreißsaal?“ verweisen wir bereits auf den von der Medizinhistorikerin Barbara Duden geprägten Begriff der „gekonnten Nicht-Intervention“: Dieser Begriff fordert das Nicht-Handeln, das Nicht-Einschreiten in der Geburtshilfe, wenn alles gut verläuft. Dazu ist es nötig, dass Hebammen und Ärzt*innen ein umfassendes Wissen über den Geburtsvorgang haben und erst einschreiten, wenn es medizinisch notwendig ist.

Es ist nötig, viel zu wissen, um nichts zu tun. Abwarten und begleiten, erst handeln, wenn es geboten ist. Es gilt zu verstehen, dass eine Geburt nicht planbar, nicht normierbar ist und nicht in abgrenzbaren Zeitfenstern verläuft. In der heutigen Gesellschaft ist es für viele Menschen zunehmend schwierig Geschehnissen die Zeit zuzugestehen, welche sie naturgemäß benötigen. Hierzu zählt auch die Dauer der physiologischen Geburt: Der Körper der Frauen und das noch Ungeborene bestimmen den Geburtsvorgang. Manchmal langsam und gemächlich, mit Pausen, ein anderes Mal rasant und überraschend. Beides ist richtig, solange es Mutter und Kind gut dabei geht.

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